Schöpfen Sie Kraft aus Ihrem persönlichen Mythos
Die Amerikaner machen es uns vor – allenthalben gleicht sich dort die Biographie eines erfolgreichen Menschen anderen Lebensgeschichten. Sie haben schwere Krisen erlebt und überwunden. Sie kamen von unten, jetzt sind sie oben. Alle hatten eine entscheidende Erkenntnis, die ihr Leben zum Guten verändert hat. Und all diese Menschen strahlen tatsächlich Selbstsicherheit und Erfolg aus.
Auch wir Europäer können von Krisen, Katastrophen und Problemen erzählen. Nur leider wird oft vergessen, die positive Wende mit zu berichten. Dadurch fehlt den Geschichten und der persönlichen Biographie die verwandelnde Kraft. Der Psychologe Dan McAdams hat solche Lebensgeschichten erforscht und daraus eine Methode entwickelt, mit der Sie Ihren persönlichen, Ihnen selbst Kraft schenkenden Lebensmythos entwerfen können.
1. Erfinden Sie Überschriften
Gliedern Sie Ihre Biographie grob in chronologische Abschnitte, und geben Sie denen markante Überschriften („Wilde Jahre mit Rebecca“, „Graue Maus in der Schule“).Wichtiger als die reinen Fakten ist dabei Ihr emotionales Empfinden (also eher: „7 Jahre Schüchternheit“ als „3 Jahre Augsburg und dann 4 in Leipzig“).
2. Markieren Sie Wendepunkte
Filtern Sie Ihre Erinnerung und destillieren Sie Schlüsselereignisse heraus. Was waren in jedem Kapitel ihrer Biographie die Höhepunkte für Sie? Was war Ihre schönste Erfahrung, was Ihre schlimmste? Was war wichtig für den Übergang zum nächsten Abschnitt (z. B. „Selbstvertrauen durch die Musik“)? Was waren Krisen, was Lösungen? Schreiben Sie dazu eine kleine Vorher-Nachher-Liste.
3. Verallgemeinern Sie
Am Übergang von einer Phase zur nächsten haben Sie meist etwas überwunden, gelernt, zurückgelassen, angenommen: Sie haben z. B. den Tod Ihrer Mutter akzeptiert, Mut bewiesen, um Ihren Job gekämpft, oder ein Mensch trat in Ihr Leben, der Sie entscheidend inspiriert hat. Formulieren Sie das Gelernte für Ihre persönliche Biographie in einem allgemein gültigen Satz, oder finden Sie ein entsprechendes Zitat. Oft haben Sie solche Sätze auch damals selbst gehört („Mein Vater sagte immer: Steh einmal mehr auf, als du gefallen bist“).
4. Finden Sie Ihr Leitmotiv
Gibt es ein Grundthema, das sich als roter Faden durch Ihre gesamte Biographie zieht? Welchen Titel könnte der Film Ihres Lebens haben? Vielleicht fällt Ihnen tatsächlich ein Film, ein Buch, ein Märchen oder ein Mythos ein, der/das Ihrem Leben ähnelt. Das führt Sie zum Kern Ihrer Identität.
5. Erzählen Sie
Das schriftliche Fixieren einer Biographie ist nur der 1. Schritt. Die entlastende und heilende Wirkung Ihres eigenen Lebensmythos tritt erst ein, wenn Sie anderen davon erzählen. Nicht nur das: Der Fluss der Dramatik ergibt sich erst beim Aussprechen. Beginnen Sie mit Ihrem groben Skript, die Ausarbeitung ergibt sich in der freien Rede.
Benutzen Sie Ihren persönlichen Mythos nicht, um in Ihrer Biographie dick aufzutragen und sich wichtig zu machen, sondern um Klarheit über sich selbst zu gewinnen. Vertrauen Sie Ihren Zuhörern: Stellen, an denen sie Ihnen am gebanntesten lauschen, waren meist wichtiger für Ihre Entwicklung als die Momente, die Sie selbst emotional am meisten aufgewühlt haben.
Sie müssen nicht Amerikaner sein, um zu erzählen, wie Sie den Krebs überlebt haben, wie Sie aus dem finanziellen Ruin rausgekommen sind, wie Sie um Ihre verflossene Liebe gekämpft und sie wiedergewonnen haben, usw.
Die unendliche Geschichte
Das Erkennen Ihres persönlichen Mythos ist ein Prozess, der Sie ein Leben lang begleiten wird. Immer wieder wird sich Ihr Blickwinkel verschieben. Vertrauen Sie darauf, dass Ihre Biographie wahr ist. Auch wenn sie durch das Erzählen immer holzschnittartiger wird: Sie beschreibt Ihr Leben. Sie haben Ihren Mythos hier nur verdichtet, um damit besser arbeiten zu können.Vor allem: Erzählen Sie die Fehler Ihres Lebens mit Humor. Schmunzeln Sie über Ihre eigenen Legenden. Dann lehrt Ihr Mythos Sie die wichtige Kunst, über sich selbst zu lachen und in heiterer Gelassenheit zu leben.
Leider vergriffen: Douglas MacAdams: Das bin ich.Wie persönliche Mythen unser Selbstbild formen. Kabel Verlag, Hamburg 2002. ISBN 3-8225-0329-0. Oder Sie genießen den wunderbaren Film Big Fish (USA 2003, Regie Tim Burton, in den Hauptrollen Ewan McGregor und Albert Finney).