Die Erkenntnisse des Yoga-Meisters Patanjali
Irgendwann zwischen dem 8. und dem 2. Jahrhundert vor Christus lebte der indische Gelehrte Patanjali, der die Sutras, das Grundwerk des Yoga, verfasst hat. Yoga (auf Deutsch: Verbindung, Fahrt) ist der Zustand der inneren Ruhe, der sich erreichen lässt durch Übung, durch Nichtbegehren und durch die Hingabe an Gott. Geist und Körper bilden dabei eine Einheit. Ein berühmter Satz Patanjalis lautet: „Wie kannst du Frieden in deiner Seele finden, wenn du keinen Frieden hast in deinem Körper?“Der Sinn des Yoga ist es, das Elend im Leben zu verringern – nicht zu verwechseln mit „Erlösung“. Das endgültige Ende des Leidens liegt im Yoga ebenso wie im christlichen Glauben außerhalb der menschlichen Möglichkeiten.
1. Avidya: Unwissenheit
Nichtwissen ist die tiefste Wurzel des Leidens. Nichtwissen hält das Vergängliche für unvergänglich, das Veränderliche für unveränderlich, das Leidvolle für Freude. Es verwechselt die äußerlichen Dinge und Erfahrungen mit dem Selbst.Übung: Stellen Sie sich vor, in Ihnen gäbe es eine stille Ecke, von der aus Sie die Geschehnisse in sich selbst beobachten können. Wenn Sie eine solche Ecke gefunden haben, sind Sie wissend.
2. Asmita: Ichverklebung
Viele Menschen halten in einer Diskussion an ihren Argumenten so verbissen fest, als ginge es um sie selbst. Sie können nicht erkennen, dass ihre Gedanken, ihre Urteile und alle anderen Fähigkeiten ihres Intellekts nicht identisch sind mit ihrem wahren Kern, dem Selbst. Sie denken, ihre Kraft zu sehen und die Kraft des Gesehenen wäre identisch.Übung: Erinnern Sie sich an eine Selbstaussage von sich (z.B. „Ich bin immer unpünktlich.“ – „Ich bin nun mal sehr empfindlich.“) – und lösen Sie sich davon. Sie sind nicht mit diesem Satz identisch. Es ist Ihre freie Entscheidung, pünktlich oder unpünktlich zu sein, empfindlich oder unempfindlich. So lösen Sie die Ichverklebung.
3. Raga: Verlangen
Eine angenehme Erfahrung schafft im Menschen das Verlangen, diese Erfahrung möglichst wieder zu haben. Ein Mensch, der verlangt, ist angespannt. Seine Kräfte richten sich nach außen. Das Wesentliche während der angenehmen Erfahrung aber entstand in seinem Inneren. Hier liegt das Geheimnis des Glücks. Die Erfüllung des Verlangens macht beim 2. Mal nicht wieder so glücklich wie bei der 1. Erfahrung. Aber der Mensch will das nicht glauben. Er sagt sich: Ich muss es nur weiter versuchen. Beim 3., 4. oder 5. Mal wird es wieder so schön. Doch das wird nie gelingen, und solches Verlangen schafft Leid.
Übung: Erinnern Sie sich an etwas Schönes (z.B. Schokolade essen). Stellen Sie sich vor, aus was für schlichten Dingen Schokolade besteht (Zucker, Fett, Kakao) und was für großartige Gefühle Ihre Fähigkeit des Genießens enthält. So können Sie jedes schädliche Verlangen besiegen.
4. Dvesa: Hass
Das umgekehrte Verlangen ist Hass. Er entsteht durch eine unangenehme Erfahrung. Menschen möchten das nie wieder erleben und suchen nach Umständen oder Personen, die bei der unangenehmen Erfahrung dabei waren. Dagegen richten sie ihren Hass. Sie übersehen, dass die unangenehme Erfahrung in ihnen selbst entstand.
Übung: Wen hassen Sie? Warum? Hätte ein anderer Mensch in der gleichen Situation nicht auch ganz anders empfinden können? Versetzen Sie sich in diesen anderen Menschen. So entkommen Sie dem Würgegriff des Hasses.
5. Abhinivesah: Angst
Ein wenig Angst hat jeder. Sie ist in ihrem Kern eine gute Kraft, die uns vor Leid beschützen soll. Es ist dumm, die Angst durch lebensgefährliche Mutproben vertreiben zu wollen. Der Weg des Yoga mit seinen täglichen Übungen will daher die Angst nicht eliminieren, sondern „verdünnen“. „Fast weniger als das Salz im Essen“, so gering soll die Menge der Furcht in Ihrem Leben sein. Es gibt kein Leben ohne Angst, so wenig wie es ein Leben ohne Leiden gibt.
Den vollständigen Text (der allerdings sehr spröde zu lesen ist) finden Sie in Gotteserkenntnis. Die Yoga-Sutras von Patanjali. Ullstein, München 1998. 7,95 €. ISBN 3-548-35780-6.