Wann es sich lohnt, den Mund zu halten
Die meisten Menschen glauben: Es ist wichtig und tut gut, Frustgefühle nicht für sich zu behalten, sondern auszusprechen. Und Grund zur Klage hat eigentlich jeder. Berufstätige klagen über die wachsende Arbeitsbelastung und die fehlende Anerkennung im Job; Lehrer über die schlechten Kenntnisse und rüden Umgangsformen ihrer Schüle; Pfarrer darüber, dass immer weniger Menschen zu ihnen in die Kirche kommen; Eltern über die Ansprüche ihrer Kinder, Kinder über die Ansprüche ihrer Eltern. Doch was bringt’s? Widmen Sie sich einer bewussten Phase der Persönlichkeitsentwicklung und verzichten Sie auf’s Jammern!
Produktives und unproduktives Jammern
Produktives Jammern: Sie hatten einen schlechten Tag und erzählen Ihrem Partner abends lang und breit von Ihren Rückenschmerzen, der S-Bahn-Störung, den Kleingefechten mit Ihrem pubertierenden Sprössling und dem neuesten Wahnsinnseinfall Ihres Chefs. Anschließend fühlen Sie sich befreit, bekommen noch einen Abendtermin beim Ostheopathen und sind zuversichtlich, dass Sie den nächsten Tag besser meistern werden.
Unproduktives Jammern: Alle Ihre Freunde kennen schon die Story von der ungerechten Bevorzugung Ihres Kollegen. Ihr Partner hört nur noch mit einem Ohr hin, wenn Sie über Ihre nervtötende Arbeit, den eintönigen Alltag oder Ihr Übergewicht Klage führen. Hinterher fühlen Sie sich zwar jedes Mal befreit, brauchen aber bald wieder ein neues Opfer, das Ihnen sein Ohr für Ihren Dauerfrust leiht.
Sehen Sie in Ihre eigene Zukunft
Beantworten Sie die folgenden 3 Fragen ehrlich für sich:
- Womit sind Sie in Ihrem Leben unzufrieden und seit wann?
- Über welche in der Vergangenheit liegenden Begebenheiten ärgern Sie sich immer noch, und wie lange liegt das Vorkommnis zurück?
- Wie vielen Menschen gegenüber und wie oft haben Sie sich schon darüber beklagt?
Zukunftsprognose: Je länger Ihre Unzufriedenheit bereits andauert und je öfter Sie darüber klagen, umso schlechter ist Ihre Chance, dass Sie wieder zufrieden mit Ihrem Leben werden. Der Grund: Ihre Klage wirkt wie ein Überdruckventil. Es verschafft Ihnen emotional Erleichterung und reduziert dadurch den „Leidensdruck“, den Sie bräuchten, um die Gründe für Ihre Unzufriedenheit anzugehen.
Die Lösung: Jammerfasten!
Die amerikanische Autorin und Lebensberaterin Martha Beck empfiehlt: Legen Sie 1 Woche oder 1 Monat lang „Jammerfasten“ ein. So geht’s:
- Jammern Sie nicht. Ganz gleich, wie sehr Sie den Drang dazu verspüren: Verkneifen Sie sich’s! Meiden Sie Jammerer-Runden.
- Schreiben Sie sich stattdessen jedes Mal so bald wie möglich auf, was Sie so unzufrieden oder ärgerlich macht.
- Notieren Sie sich dazu mindestens 1 Maßnahme, wie Sie die unbefriedigende Situation verändern können.
- 4. Tun Sie’s!
- Ihnen fällt nichts ein? Warten Sie, bis der Druck so groß geworden ist, dass Sie denken: „Am liebsten würde ich … (der Erzieherin meines Kindes mal richtig die Meinung sagen, 2 Tage lang nur schlafen, die Bank, den Arzt, den Job wechseln)“. Wie können Sie das (gegebenenfalls in modifizierter Form) tatsächlich tun?
Das wichtigste Zeichen einer positiven Persönlichkeitsentwicklung ist der 4. Schritt: Bauen Sie den Überdruck wirklich durch konkretes Handeln ab. Wenn Sie den Dampf, den Sie bisher durch Jammern abgelassen haben, lediglich aufstauen, wird es bald zu einer Explosion kommen, bei der nicht nur Sie, sondern auch Ihre Beziehungen Schaden nehmen werden.
Wenn Rat erbeten wird, aber nicht willkommen ist
Sicher kennen Sie das: Da jammert Ihnen jemand hilflos etwas vor („Ich weiß gar nicht, was ich tun soll!“), wehrt aber all Ihre Ratschläge und praktischen Hilfsangebote ab.
simplify-Tipp: Hören Sie zunächst nur aufmerksam zu, fühlen Sie sich in die Situation des anderen ein, und geben Sie ihm dann eine bestätigende Rückmeldung wie: „Ja, das ist wirklich Mist.“ Oder: „Ich kann nachvollziehen, dass dich das sehr belastet.“ Nur wenn sich der andere ernst genommen fühlt, wird er in der Lage sein, Ihre Anregungen anzunehmen.
Oft ist einem Jammerer selbst nicht klar, worum es ihm geht: einfach nur Dampf abzulassen, getröstet zu werden, durch das Erzählen Klarheit zu gewinnen, tatsächlich Ratschläge von Ihnen zu bekommen oder gemeinsam mit Ihnen Lösungen zu erarbeiten. Fragen Sie ihn offen danach: „Ich würde dir gerne etwas Gutes tun. Möchtest du, dass ich …?“
Sie haben genug davon, dass der notorische Jammerer Ihnen Zeit und Energie raubt? Dann dürfen Sie einen Schlussstrich unter das Thema ziehen – Frauen fällt das übrigens meist schwerer als Männern. Wenn Sie’s mit einem abrupten Themenwechsel probieren wollen, lenken Sie den anderen am besten mit einer Frage ab: „Weißt du, wie das Wetter am Wochenende sein wird?“ Weniger konfrontativ: Geben Sie Ihrem Gesprächspartner konsequent die Verantwortung zurück. Verpacken Sie Ihre Botschaft „So kann ich dir nicht weiterhelfen“ in eine nette, unverbindliche Ermutigung wie „Ich bin sicher, du schaffst das“.
Autorin: Dr. Ruth Drost-Hüttl